„Schuster, Schneider und Frisöre sind bei Zuse Ingenieure“
Robert Rohrbach.
Mitarbeiter der Zuse KG. von 1956 bis 1960
Riedstadt, im September 2006
Sehen Sie dazu das Originalinterview mit Herrn Heinrich Kranz auf der DVD. Auf der
DVD ist auch ein Film über die legendären Betriebsausflüge der Zuse KG zu sehen.
Eine nette Überschrift - aber was verbirgt sich dahinter?
Nun - diese oder ähnliche Sprüche gab es auch schon über andere Firmen. Im Jahr 1949,
nachdem die Firma Zuse in Neukirchen (im damaligen Kreis Hünfeld) gegründet wurde,
gab es noch keine erlernte Berufe für den Bau von Elektronen- und Relais-Rechenanlagen.
Trotz des Zweiten Weltkrieges konnte die fast fertige Rechenanlage ZUSE Z4 gerettet
werden. Für die Fertigstellung der Maschine ZUSE Z4, gab es nur noch ein paar wenige
Spezialisten, die mit Konrad Zuse in Berlin zusammenarbeiteten. Diese fanden sich
nach den Kriegswirren ab 1946 wieder und siedelten 1949 nach Neukirchen um. Die
ZUSE Z4 wurde im Jahr 1950 fertiggestellt und war danach 5 Jahre an der ETH in Zürich
sehr zuverlässig in Betrieb. Erst im Jahr 1950, mit dem Auftrag des Rechners ZUSE
Z5, für die Firma Ernst Leitz in Wetzlar, wurde weiteres Personal benötigt und eingestellt.
Zu diesem Zeitpunkt gab es noch keine Spezialisten für das Verdrahten von Rechenanlagen.
Die Arbeiten waren für die neuen Mitarbeiter berufsfremd, d.h. sie hatten vorher
alle andere Berufe ausgeübt. Sie wurden eingewiesen, wie man Drähte nach Schaltplänen
an die Relais anlötete. Kabelbäume nach Vorschrift verlegt, um somit die einzelnen
Relaisrahmen zu verbinden. Mit einem Auftrag von der Firma Remington Rand aus der
Schweiz wuchs der Bedarf an Personal für Verdrahtungsarbeiten. Hier wurde der Begriff
Schaltmechaniker, in der Firma Zuse erstmals verwendet. Die Relaisgestelle mit
der internen Bezeichnung M9 wurden, ähnlich wie die Rahmen der Z4 und Z5, verdrahtet.
Erstmals wurden hier nicht einzelne Maschinen hergestellt, sondern ein Auftrag
von 25 Maschinen war angenommen worden. Hier wurden plötzlich mehrere Leute zum Verdrahten
der Anlagen benötigt. Das waren nun Männer die angelernt wurden, Relais-Rahmen zu
verdrahten. Ihre Berufe vorher waren Schuster, Schneider, Schreiner usw. Also, wirklich
berufsfremde Menschen, die am Bau von Zuse-Rechenanlagen beteiligt waren. Diese
Leute gingen mit großem Elan an ihre neuen Aufgaben heran. Viele der neuen Mitarbeiter
brachten eigene Ideen mit ein, um die komplizierten Verdrahtungen nicht nur fehlerfrei,
sondern auch schön platzieren zu können. Sie machten sich Gedanken darüber, wie die
Verdrahtungen kostengünstig und in kürzester Zeit, ausführt werden können.
Nach dem der Auftrag M9 für die Firma Remington Rand abgewickelt war, konnte die
Firma Zuse die eigene Entwicklung des Relais-Rechners ZUSE Z11 vorstellen. Das war
im Jahr 1955. Die Maschine ZUSE Z11 war für das Vermessungswesen und für Berechnungen
in der optischen Industrie sehr gut geeignet und wurde erfolgreich in Serie produziert.
Hier hatte man inzwischen einen kleinen Personalstamm angelernt auf den man aufbauen
konnte. Weitere Schaltmechaniker wurden benötigt. Auch hier wurden wieder neue Leute
angelernt, welche die Relais-Rahmen für die Maschine ZUSE Z11 verdrahteten. Nach
den Verdrahtungsarbeiten mussten natürlich die einzelnen Komponenten auf mögliche
Fehler überprüft werden.
Die Firma Zuse bediente sich inzwischen ihrer angelernten Schaltmechaniker der ersten
Generation. Einige Schaltmechaniker wurden für die Revision angelernt. Hier haben
sich diese Leute ein eigenes Prüfverfahren angeeignet. Sie haben sich Hilfsmittel
für eine optimale Kontrolle selbst entwickelt. Spezialisten für die Revision von
produzierten Rechenanlagen gab es auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Von dem Relaisrechner
ZUSE Z11 wurden von 1955 bis 1959 genau 48 Maschinen ausgeliefert. Auch diese
Rechenanlagen waren sehr zuverlässig im Dauerbetrieb. Hier kann man sehen, wie sich
die Leute weiterentwickelten, die in ihren früheren Berufen Schuster, Schneider,
Schreiner, Musiker und Instrumentenbauer waren.
Als 1956 die Produktion der ersten elektronischen Rechenanlage ZUSE Z22 begann, bediente
man sich des eigenen geschulten Personals, aber hier musste man ganz anders vorgehen,
da das Verlegen der Kabel und Kabelbäume nun nach den Erfahrungen mit den Relais-Rechnern
nicht mehr angewendet werden konnte. Hier mussten die Drähte von Punkt zu Punkt auf
dem kürzesten Weg verlegt werden. Kabelbäume durften nicht mehr gefertigt werden,
da diese ein Übersprechen von Informationen verursachten. Alle diese Neuerungen
wurden von den Schaltmechanikern und Prüfern schnell in die neue Praxis umgesetzt.
Für die Produktion der Z22 Röhrenbausteine wurden Frauen eingestellt und für diese
Tätigkeiten angelernt. Von dem erfolgreichen und zuverlässigen Röhrenrechner ZUSE
Z22 wurden 52 Maschinen ausgeliefert.
Man sieht - Umschulung und Flexibilität im Beruf wurde auch schon in den Nachkriegsjahren
von vielen Arbeitnehmern verlangt.
Vielleicht versteht man jetzt den Titel dieser Zeilen.